Quelle:

Zusendung per Email durch Dr.Nikolai Czugunow-Schmitt; 

Die Rede ist auch zu finden auf den Seiten der Bamberger SPD http://www.spd-bamberg.de/

 

 

Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD

Kreisverband Bamberg-Stadt

 

Gedenkrede zu Ehren von Willy Aron

(+ 17. Mai 1933 im KZ Dachau)

 

Gedenkfeier am 15. Mai 2003 auf dem Jüdischen Friedhof in Bamberg

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Genossinnen und Genossen!

 

1. Wir gedenken heute des Bamberger Jungsozialisten Willy Aron: Willy Aron war das erste Opfer, das der menschenverachtende Terror der Nationalsozialisten in Bamberg forderte. Der junge Genosse und Gewerkschafter starb am 17. Mai 1933 im Konzentrationslager Dachau an den schweren Misshandlungen, die ihm zugefügt worden waren - „im Konzentrationslager Dachau verschieden“, wie das „Bamberger Volksblatt“ damals vor siebzig Jahren „beschönigend“ schrieb.

 

2. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und Barbarei, die unvorstellbare Grausamkeit der faschistischen Ideologie und der Holocaust, die Zeit der Verfolgung und der Vernichtung veränderten das Selbstverständnis und Menschenbild der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung. Der Holocaust, das darf nicht vergessen werden, vernichtete auch die große Tradition der jüdischen Arbeiterbewegung in Europa, nicht zuletzt in Osteuropa.

 

Ein Lied von 1921, das in der sozialistischen Jugend der Zwanzigerjahre sehr populär war und häufig gesungen wurde, bringt das Bild vom Menschen zum Ausdruck, von dem die Arbeiterbewegung des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts erfüllt war:

 

Hebt unsere Fahnen in den Wind!

Sie fließen hell wie Sonnenglut

und künden, daß wir gläubig sind:

Der Mensch ist gut!

 

(...)

 

Hebt unsere Fahnen in den Wind,

hebt in die Sonne euren Mut!

Wir kämpfen, weil wir gläubig sind:

Der Mensch ist gut!

 

Der Mensch ist von Natur aus gut, wenn er nicht durch die herrschenden Produktions-, Kapital- und Machtverhältnisse an der Entfaltung seiner Anlagen gehindert wird: Dieses optimistische Bild des Menschen wurde durch die einschneidende Erfahrung des Faschismus nachhaltig erschüttert. Der Nationalsozialismus hatte brutal gezeigt, was Menschen einander antun können, wozu Menschen fähig sind. Ein derartiges Lied konnte nach Ende der NS-Diktatur nicht mehr ungebrochen weitergesungen werden.

 

3. Menschenwürde und Freiheit müssen immer wieder von Neuem gelebt und verteidigt werden. Das heute gültige Grundsatzprogramm der SPD, das so genannte „Berliner Programm“, fasst das Menschenbild des Demokratischen Sozialismus, so wie es sich in der Sozialdemokratie nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte, überzeugend und äußerst eindrücklich zusammen. Es ist übrigens das erste Programm in der Geschichte der SPD, in dem sich ein derartiger Abschnitt zum Menschenbild findet. Ich möchte diese Zeilen daher kurz zitieren - die Worte sind geschichtliches Vermächtnis und bleibender Auftrag, Mahnung und Aufruf zum demokratischen Engagement zugleich. Aus ihnen spricht die Erinnerung an die Jahre des Widerstands und des Exils, die Zeit der Verfolgung und der Vernichtung. Ich zitiere:

 

Der Mensch, weder zum Guten noch zum Bösen festgelegt, ist lernfähig und vernunftfähig. Daher ist Demokratie möglich. Er ist fehlbar, kann irren und in Unmenschlichkeit zurückfallen. Darum ist Demokratie nötig. Weil der Mensch offen ist und verschiedene Möglichkeiten in sich trägt, kommt es darauf an, in welchen Verhältnissen er lebt. Eine neue und bessere Ordnung, der Würde des Menschen verpflichtet, ist daher möglich und nötig zugleich. Die Würde des Menschen verlangt, daß er sein Leben in Gemeinschaft mit anderen selbst bestimmen kann. (...) Die Würde des Menschen ist unabhängig von seiner Leistung und Nützlichkeit. - Zitatende.

 

Darum ist Politik unverzichtbar. Über allem Streit im politischen Alltagsgeschäft, so notwendig und wichtig dieser ist, darf nicht vergessen werden, was der grundlegende Sinn demokratischer Politik ist: die Gestaltung der gemeinschaftlichen Lebensführung unter dem Maßstab von Freiheit und Gemeinwohl.

 

4. An einer anderen Stelle im Berliner Grundsatzprogramm heißt es:

 

Der Widerstand [gegen den Nationalsozialismus] vertiefte die Erfahrung, daß auch Menschen unterschiedlicher Glaubenshaltungen und politischer Grundüberzeugungen gemeinsam für gleiche politische Ziele arbeiten können.

 

Die gemeinsamen Ziele, für die wir politisch kämpfen und für die auch Willy Aron unter ungleich schwereren Bedingungen damals gekämpft hat, lassen sich zusammenfassen in den drei unaufgebbaren Grundwerten des Demokratischen Sozialismus: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Diese Grundwerte sind und bleiben aktuell. Sie verpflichten zum Einsatz und zum Engagement für eine Gesellschaft, in der die Rechte aller geachtet werden, wir uns frei entfalten und die Menschen solidarisch miteinander leben können.

 

Dazu gehört auch, dass wir ohne Angst verschieden sein können und dürfen. Und dazu gehört, dass Verschiedenheiten zwischen Einzelnen oder Gruppen - so lange nicht die Würde und die Rechte Anderer beschädigt werden - geachtet und anerkannt werden: Die Verschiedenheit in Lebensform und Kultur, Bekenntnis und Glaubensüberzeugung, Abstammung und Geschlecht, Heimat und Herkunft ist zu achten, darf aber kein Grund sein, Lebenschancen unterschiedlich zu verteilen oder jemandem sogar ganz abzusprechen. Wo die Rechte und Lebenschancen anderer nicht geachtet werden, sind Widerspruch und Zivilcourage gefordert. Richtig ist aber auch: Wer die Ursachen von Rechtsextremismus und Gewalt wirksam bekämpfen will, darf auch deren soziale Ursachen nicht übersehen und muss diese zu überwinden suchen.

 

5. Widerspruch und gemeinsames Handeln sind überall dort gefordert, wo versucht wird, mit Hetzparolen und mit Ideologie, aber auch mit Vereinfachung und mit Verzerrungen Politik zu machen. Sein Mut, öffentlich gegen die NS-Propaganda, wie sie nach dem Reichstagsbrand einsetzte, die Stimme zu erheben, war für Willy Aron tödlich. Die Meinungsfreiheit gehört zu den wichtigsten demokratischen Errungenschaften. Freiheit ist auf das freie Wort und auf kritische Auseinandersetzung, auf kulturelle Vielfalt und auf den Wettstreit von Ideen, auf Zivilcourage und demokratisches Engagement, auf breite Beteiligung und konstruktiven Streit, auf Teilhabe und den Schutz der Grundrechte angewiesen. Eine wehrhafte Demokratie, die Antisemitismus, Extremismus und Terrorismus entschieden bekämpft, ist richtig und notwendig. Doch muss dies mit rechtsstaatlichen Mitteln geschehen, da jede Macht - auch staatliche - der Kontrolle bedarf - eben weil der Mensch fehlbar ist. Nicht Festakte und Sonntagsreden, sondern der Umgang mit den Grundlagen unserer Demokratie im politischen Alltag sagt etwas über die politische Kultur in unserem Land aus. Die demokratische Kultur wird - so meine Hoffnung - umso entschiedener verteidigt werden, wenn an politischen Entscheidungen möglichst viele beteiligt werden und auch wirklich bereit sind, sich zu beteiligen. Dies sollten wir als Jusos immer wieder einfordern; hierzu sollten wir auch selbst bereit sein.

 

6. Schließen möchte ich mit dem Gedicht eines anderen Jungsozialisten und Widerstandskämpfers, der sein Leben ebenfalls durch den NS-Terror verlor: Adolf Reichwein, im Oktober 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Der Volkskundler und Reformpädagoge Reichwein hatte sich unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs dem Sozialismus zugewandt, entschied sich aber erst im Herbst 1930 unter dem Eindruck der wachsenden Erfolge der NSDAP zum Eintritt in die SPD - die einzige Partei, der er noch zutraute, den „Kollektivismus der Blutjünger“, wie er einmal selbst den Rassenwahn der Nazis nannte, zu stoppen. Die folgenden Zeilen, geschrieben für einen seiner Schüler, sind so etwas wie ein pädagogisches Vermächtnis. Sie zeigen, aus welchen Tugenden eine Geisteshaltung innerer Freiheit erwachsen kann und welcher moralische Maßstab Reichwein selbst bei seinem politischen Einsatz leitete:

 

Richte immer die Gedanken

Fest und ohne Schwanken

Auf das selbst gewählte Ziel!

Hilft das Herz als Kompaß viel,

Weist die Richtung in der Stille,

Soll der selbst gestählte Wille

Doch Dich stärken, fest zu halten

Und Dein Leben zu gestalten

Nach den großen Tugendbildern,

Die des Lebens Härte mildern:

Güte allen Menschen zeigen,

Wahrheit gegen Jedermann,

über andrer Fehler schweigen,

Und nur wollen, was man kann. -

 

7. „Güte allen Menschen zeigen, Wahrheit gegen Jedermann“: Wir sind dankbar, dass es Menschen gab, die sich nicht haben einschüchtern lassen und die an diesen Idealen festgehalten haben. -

 

Die Bamberger Jungsozialistinnen und Jungsozialisten verneigen sich vor Willy Aron und gedenken seiner in Hochachtung: Sein mutiges und frühzeitiges Eintreten gegen die politische Lüge und die Herrschaft der Nationalsozialisten, das er mit dem Tod bezahlte, bleiben uns Mahnung und stetes Vorbild. Wir werden sein Andenken und sein Vermächtnis in Ehren halten.

 

Freundschaft!

 

 

Axel Bernd Kunze

(Beisitzer im Juso-Kreisvorstand Bamberg-Stadt,

Bamberger Juso-Kreisvorsitzender von 2001 - 2003)

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
21. September 2003


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