Geschichtliche Aspekte zur Stellung der Juden in Wirtschaft, Handel und   Gesellschaft

"Brauchst du Geld, dann geh zum Jud!", so könnte ein Werbeslogan lauten, der über die Jahrhunderte hinweg die gesellschaftliche Stellung und die Berufe der Juden treffend beschreibt. Eckstein stellt die Frage: "Vom Ackerbau ausgeschlossen, im Handel beschränkt und eingeengt [...], zu den Handwerkszünften nicht zugelassen, wovon sollte er seine Familie ernähren, womit sich das Leben erkaufen?" [1] Gemeint ist "der Jude", stellvertretend für ein Volk und dessen grundsätzliche Schwierigkeiten. Dem Leser könnte sich die Frage aufdrängen: "Warum zog es die Juden in ein Land, in dem sie scheinbar ständig solchen Reglementierungen und Anfeindungen ausgesetzt waren?"

Im historischen Abriss am Anfang meiner Arbeit erwähnte ich bereits, dass die ersten Juden wahrscheinlich im Gefolge römischer Soldaten ins   jetzige Franken kamen, sich ansiedelten und  Handelsstützpunkte sowie Siedlungen errichteten bzw. sich solchen anschlossen.  Diese Annahme wird von der Tatsache gestützt, dass Pipin III. der Jüngere (R 751-768), der Vater Karls des Großen, im Jahr 759 Narbonne eroberte, eine Stadt, die den letzten Stützpunkt der Araber im Frankenreich darstellte. Pipin III. übergab den Juden als Dank für ihre Waffenhilfe die Hälfte der Stadt[2]. Dies lässt darauf schließen, dass es bereits damals starke jüdische Gemeinden auf ehemals römischen Gebieten gab. Während der Regierungszeit Karl des Großen (768-814) werden viele sogenannte Heiden christianisiert, wenn nötig mit dem Schwert. Die Juden als Volk der Bibel durften ihren Glauben jedoch behalten. Sie standen wie alle anderen Gesellschaftsgruppen in Karls´ Herrschaftsgebiet unter seiner Vormundschaft. Dies hieß, dass ihr Leben, ihre Ehre, ihre Religionsausübung, ihr Eigentum und die Freiheit Handel zu treiben unter kaiserlichem Schutz standen. Besonders erwähnenswert ist auch das aus dieser Zeit stammende Recht jüdischer Gemeinden, Zivilstreitigkeiten nach eigenem Recht beilegen zu dürfen. Die daraus resultierende Gemeindeautorität begann sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder aufzulösen. Die wirtschaftliche Lage der Juden dieser Zeit scheint günstig gewesen zu sein. Sie waren weithin als Händler und Vermittler geschätzt. Auf ihren Reisen fungierten sie nicht selten als Diplomaten, Vermittler und Überbringer von Geschenken und Botschaften. So wird von einem jüdischen Händler berichtet, der mit einer Gesandtschaft Karl des Großen 801/802, zum Kalifen Harun al Raschid nach Bagdad geschickt wurde und vier Jahre später mit großen Geschenken und einem Elefanten Namens Abulabaz nach Aachen zurückkehrte.

Der kaiserliche Rechtsschutz blieb den Juden auch unter den Nachfolgern der Karolinger, den Ottonen, erhalten. In Arabien genossen sie ebenfalls Gleichberechtigung und im maurischen Spanien legten arabische und jüdische Gelehrte, Philosophen, Ärzte und Diplomaten die Fundamente für eine hohe und lang anauernde Kultur. Mit der Zeit verlagerte sich das Zentrum talmudischer Studien aus den arabischen Ländern ins heutige Nordfrankreich und an den Rhein. Speyer, Worms, Mainz und Lothringen entwickelten sich zu wichtigen Zentren jüdischer Spiritualität in Mitteleuropa[3]. Juden wurden immer wieder als Garanten für wirtschaftliche Sicherheit angesehen. So "zogen auch die Bischöfe zunehmend Juden an ihren Bischofssitz heran, um das Wohl ihrer Stadt zu fördern" heißt es bei Gidahl (1997 S. 31), obwohl diese den Juden lange Zeit nicht gut gesonnen waren. Weiter heißt es in einem Beispiel des Rüdiger von Speyer: "Ich, Rüdiger [...] Als ich den Weiler Speyer in eine Stadt verwandelte, glaubte ich, die Ehre unseres Ortes noch zu vergrößern, wenn ich die Juden vereinigte [...] damit sie durch den Übermut des Pöbels nicht beunruhigt würden, umgab ich sie mit einer Mauer."[4] Den Juden drohte auch in dieser Zeit Gefahr, deshalb mussten sie mit hohen Mauern vor dem Volk geschützt werden, zu dessen Gedeihen sie angesiedelt wurden. Aus letzterem Grund gewährte der Bischof den Juden in der Stadt volle Freiheit, Wehrrechte und Wehrpflichten sowie einen Begräbnisplatz.   Besonders stolz war der Bischof auf die Gesetze der Gemeinde, die besser sein sollten als die aller anderen jüdischen Gemeinden des deutschen Reiches. Jüdische Besucher waren vom Stadtzoll befreit. Dieser Schutzbrief des Bischofs Rüdiger wurde 1090 von Kaiser Heinrich IV. (R 1056–1106) bestätigt. Im Laufe des 12. Jahrhunderts entstanden im deutschen Reich viele lebendige Gemeinden. Der jüdische Kaufmann und Weltreisende Benjamin aus Tudela wusste, von solchen Städten bzw. Gemeinden mit vielen Juden, weisen und reichen Leuten zu berichten. Neben Münster, Freising und Regensburg erwähnte er in seinem Reisebericht auch Bamberg als eine dieser Städte. Im 10. und 11. Jahrhundert entstanden in Zusammenarbeit mit Frankreich in Mitteleuropa Talmudschulen, die den Jahrhunderte alten Talmudschulen in Spanien, Nordafrika, Palästina und Babylonien in nichts mehr nachstanden, welche sie mit der Zeit an Bedeutung fast übertrafen. Als Beispiel für dieses bedeutungsvolle Wirken sei Rabbi Salomon ben Isaak genannt. Er wird als der wichtigste Bibel- und Talmudkommentator des Mittelalters bezeichnet und lebte und lehrte in Troyes. Seine Kommentare sind noch heute ein "integraler Bestandteil des Bibel- und Talmudstudiums" wie es Gidal formuliert[5] und somit der religiösen Erziehung. In wirtschaftlicher Hinsicht schien sich die Stellung der Juden in dieser Zeit zu stabilisieren. Juden waren in vielen Berufen tätig. Sie betätigten sich als Handwerker und als Weinbauern ebenso wie im regionalen, überregionalen sowie im internationalen Handel, weshalb sie den Herrschern nützlich und vorteilhaft erschienen.

Dem entgegen erließ Papst Gregor VII. bereits  nach Heinrichs IV. Canossa-Gang 1078 eine Bulle, in der Juden jegliche amtliche Stellung in Ländern der Christenheit verboten wurde. Der erste Kreuzzug (1096 – 1099) war Anlass für erste Judenmassaker. Juden, die sich nicht taufen lassen wollten, wurden ermordet. Zwangsgetaufte Juden durften auf kaiserlichen Erlass hin wieder zu ihrem Glauben zurückkehren. Es fanden sich immer wieder Fürsten und andere Adelige, die sich für die Juden einsetzten, aber die Zeit der Judenverfolgungen hatte unwiderruflich begonnen. Mit Papst Innozenz III. (R 1198–1216) begann die Verketzerung der Juden durch die Kirche.

 

Das vierte Laterankonzil von 1215 schloss die Juden von allen handwerklichen Berufen aus und drängte sie in die Rolle von Pfandleihern, Geldwechslern und Zinsnehmern. Damit war der Grundstein für einen Jahrhunderte andauernden Mythos vom geldgierigen, blutsaugenden jüdischen "Wucherer", wie er in vielen Illustrationen immer wieder karikiert erscheint, angelegt. Zudem untersagte das Laterankonzil den Juden, öffentliche Ämter zu übernehmen und sie mussten ein Unterscheidungsmerkmal an ihrer Kleidung tragen[6]. Diese Zeichen waren entweder ein gelber Judenstern, die typischen spitzen Judenhüte oder ein Kreis auf der Kleidung. Im Widerspruch zwischen einer sich am einfachen Volk und den Juden bereichernden Kirche und dem einfachen Volk selbst, wurde die Spannung und die Wut der Bevölkerung immer wieder auf die Juden projiziert, wegen ihrer besonderen Stellung als mit Geld Handelnden. Christen war es von der Kirche verboten, Zins zu nehmen, das Zinsgeben hingegen nicht. Die Kirche gründete ihre Argumente auf biblische Satzungen[7]. Eckstein schreibt weiter, dass der Bischof Heinrich von Bamberg im Jahre 1244 mit einem Nachbarfürsten einen Landfrieden schloss, in welchem bestimmt wird, dass "kein Christ auf Zinsen leihen darf, außer bei Juden"[8]. Weitere Restriktionen erfuhren die Juden z.B. durch das Konzil von Basel. Demnach durften Juden bei Verträgen zwischen Christen nicht mehr als Unterhändler auftreten und ihnen wurde untersagt, akademische Grade zu erwerben.

 

Mit diesem Rückblick in die Geschichte der jüdischen Händler und Geschäftsleute wollte ich verdeutlichen, dass es zu bestimmten Zeiten immer wieder Anreize und attraktive Angebote  für jüdische Handeltreibende gab, sich in Mitteleuropa und insbesondre im jetzigen Franken niederzulassen. Sie waren aufgrund ihrer Fähigkeiten, ihrer Beziehungen und ihrer weitgereisten Erfahrungen wegen oft begehrte Geschäfts- und Handelspartner gewesen. Im Gegensatz hierzu entsprach es nicht ihrer freien Wahl in das Metier der Pfandleiher, Zinseintreiber und Geldverleiher tätig zu werden. Sie wurden von der Kirche dazu gezwungen. Auf die Zeit bis ins 19. Jahrhundert werde ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Welchen Anfeindungen, Beschränkungen und Verfolgungen Juden unterlagen stellte ich auszugsweise im Kapitel des historischen Abrisses dar. Ich mache im Folgenden einen zeitlichen Sprung in das Jahr 1813, in welchem am 10. Juni das sogenannte Judenedikt, "die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreich Baiern betreffend[9]", abgeschlossen wurde. Im Judenedikt von 1813 erlangten die bayerischen Juden das Bürgerrecht, es erging ein Verbot der Einwanderung, die Juden wurden gezwungen "ordentliche deutsche" Familiennamen anzunehmen, sie mussten einen Untertaneneid leisten und es wurde ihnen der Hausier-,  Not- und Schacherhandel verboten. Der Matrikelparagraph besagte zudem, dass die Zahl der Juden in den Orten festgeschrieben und nicht vermehrt werden soll. Die Zahl der ansässigen Juden sollte vielmehr verringert werden. In Bamberg wurden 69 Familien zugelassen, mehr durften es nicht sein. Erst 1851 wurden die bayerischen Juden in bürgerlich-rechtlichen Angelegenheiten den Christen gleichgestellt. Der Matrikelparagraph wurde erst 1861 wieder aufgehoben.

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[1] Eckstein (1898) S. 227

[2] Gidal (1997) S. 28

[3] Gidal (1997) S. 30

[4] Gidal (1997) S. 31

[5] Gidal (1997) S. 32

[6] Fichtl (1992) S. 2

[7] Eckstein (1898) S. 227

[8] Eckstein (1898) S. 227

[9] Fichtl (1992) S. 7 ff.