Entwicklungen bis in die Gegenwart

- Bautätigkeit zwischen 1878 und 1913
- Die Vernichtung der jüdischen Bewohner
- Nutzung und Bebauung des Haingebiets nach dem Zweiten Weltkrieg

Bautätigkeiten zwischen 1878 und 1913

Bis 1890 wurden im Haingebiet keine nennenswerten Bauvorhaben verwirklicht. In den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts wurden lediglich 5 Villen erbaut. Als Grund für diese Stagnation kann die Überschwemmungsproblematik des Haingebiets angeführt werden, was die schweren Hochwasser im Februar 1876 verdeutlichten[16]. Maßnahmen wie die Bereitstellung von Kähnen, um bei Überschwemmungen den Transport der Anwohner zu ihren Wohnungen zu sichern oder die Überlegung, für Hochwasser extra Stege in einem Lagerhaus am Zwinger bereit zu stellen, endeten in einem Ende April erlassenen Bauverbot.

Erst ein ab 1883 begonnenes umfangreiches Hochwasserfreilegungskonzept, das noch heute im Bamberger Stadtbild zu erkennen ist, lässt 1890 einen weiteren Ausbau des Haingebietes zu. Zu diesem Zweck wurde eine Flussmulde am Nordrand des Luisenhains genutzt und der Heinrichsdamm angelegt. Auf diese Weise entstand ein neuer Straßenzug, der von der Hainstraße, ab Ottostraße, über die Sophienstraße (heute Willy-Lessing-Straße) und die Luitpoldstraße eine Verbindung vom Haingebiet zum Bahnhof schuf [17]. Obwohl ein Hochwasser von 1909 bewies, dass Bamberg noch immer nicht ganz sicher war, so konnten die beiden Regnitzarme nun doch mehr als die doppelte Wassermenge fassen. Im November 1889 begann man mit der Planung des südlichen Haingebiets[18], die in ihrer ersten Phase noch ganz den klassizistischen Vorgaben verpflichtet war. In der späteren Gestaltung bezog man auch Reformideen mit ein, wie die des Städteplaners Sitte bei denen es galt, "in malerischer Komposition geschlossene Raumbilder zu vereinen"[19]. So wich man von der streng geometrisch rechteckig parallelen Straßenführung ab und ließ z.B. die Krümmung von Straßenzügen zu.

Ein weiteres Ziel war die Verbesserung der Infrastruktur. Ein erster Schritt war die Errichtung des Königlichen Kreisarchivs, dem heutigen Staatsarchiv. Es wurde 1902/05 von Fritz Fuchsenberger an der Ecke Hain- /Sodenstraße, in Form einer mehrteiligen, schlossartigen Anlage erbaut. Eine der wichtigsten Bereicherungen für die jüdischen Bewohner des Haingebietes dürfte der Bau der vierten Synagoge am Rande des Hainviertels, Ecke Herzog-Max-/Urbanstraße, dargestellt haben. Sie wurde von dem Bamberger Architekten Johannes Kronfuß geplant und 1910 feierlich eingeweiht. Ebenfalls von Johannes Kronfuß geplant und errichtet, wurde 1904 die Ressource, das Vereinshaus der jüdischen Ressource-Gesellschaft, fertiggestellt.

Staatsarchiv.jpg (17488 Byte)
Abb. 7
Staatsarchiv Ecke Hain- / Sodenstraße

Die Ressource-Gesellschaft wurde 1827 als "Israelitischer Leseverein" gegründet und war als Pendant zu den Bildungs- und Geselligkeitsvereinen des nichtjüdischen städtischen Bildungsbürgertums zu verstehen.Im Weiteren wurde das Hainviertel 1891/92 durch einen aufwendigen Baublock zwischen Friedrich- und Schützenstraße, sowie die Errichtung von Mietshausneubauten nach der Jahrhundertwende, städtebaulich an den Schönleinsplatz angebunden. Eine verkehrsmäßige Erschließung ganz besonderer Art erfuhr das Haingebiet durch eine Linie der 1897 eingerichteten elektrischen Straßenbahn, die am Theresienhain sogar einen Endpunkt aufweisen konnte[20].

 

Die Vernichtung der jüdischen Bewohner

Bereits nach dem ersten Weltkrieg und in den 20er-Jahren unseres Jahrhunderts gab es in Bamberg antisemitische Hetze und Ausschreitungen gegen jüdische Bürger[21]. Trotzdem lebten 1925 noch 972 Juden in Bamberg, die zwar mit ca. 1,9% der Bamberger Gesamtbevölkerung nur einen sehr geringen  Bevölkerungsanteil ausmachten, wirtschaftlich jedoch zu den bedeutendsten jüdischen Gemeinden Deutschlands zählten. Bereits 1939 war die jüdische Einwohnerschaft Bambergs auf weniger als die Hälfte des Jahres 1925 dezimiert worden (418 Personen), dies waren 0,7 % der Gesamtbevölkerung. Im Mai 1945 lebten in Bamberg nur noch 15 Juden in sogenannten Mischehen, der Rest der ehemaligen jüdischen Gemeinde war vertrieben oder deportiert und ermordet worden.

Einige Stationen des antisemitischen Terrors waren die Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933, der 1. Boykotttag gegen jüdische Geschäfte am 1.4.1933, der Erlass der Nürnberger Gesetze "zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" am 15.9.1935, die Reichskristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938, in der die 1910 eingeweihte neue Synagoge total niedergebrannt, vernichtet und später gesprengt wurde, sowie die 1941 beginnenden Deportationen in den Osten und somit in die Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis. In der Zeit zwischen 1933 und 1943 sind 66 jüdische Bamberger verzogen, wanderten 443 Juden aus und wurden 228 jüdische Mitbürger deportiert. Das Gebäude Ressource wurde 1934 von der NSDAP beschlagnahmt und als Parteizentrale genutzt. Kurz vor dem Einmarsch der US-Armee in Bamberg wurde die Ressource von der NSDAP gesprengt, um eine Übernahme durch die US-Armee zu verhindern und wichtige Akten zu vernichten.

Mit der Arisierung ging eine Enteignung jüdischen Besitzes einher.  In vielen Fällen wurden Häuser jüdischen Besitzes an "NSDAP-genehme" Personen, zu nur 20% des Verkehrswertes bzw. 30% des Einheitswertes "verkauft". Unbebaute Grundstücke wechselten zu 8% bzw. 10% ihres Wertes den Besitzer. Über die Bedingungen, die in der Verordnung zur Anmeldung jüdischen Besitzes festgelegt waren, wurden die jüdischen Haus- und Grundbesitzer gezwungen, zu verkaufen.

Nutzung und Bebauung des Haingebiets nach dem 2.Weltkrieg

Im Gegensatz zur Altstadt, die weitestgehend von der Zerstörung durch Kriegseinwirkung verschont blieb, gab es in den Rand- und Neubaugebieten Bambergs vereinzelte bis starke Zerstörungen[22]. Das Haingebiet wurde mehrmals getroffen. Am Abend des 2. Januar 1945 musste ein Bomber, der sich auf dem Weg zum Großangriff auf Nürnberg befand, seine Ladung frühzeitig wegen eines Notfalls abwerfen. Diese Bomben trafen Bereiche der Hain-, Soden- und Schützenstraße. An diesem Abend wurde das Staatsarchiv schwer beschädigt. Weitere Bombenabwürfe gab es am 16. Januar und am 22. Februar 1945, wobei letzterer zu den schwersten Bombenangriffen auf Bamberg zählte. Nach einer Karte vom April 1945 über die Gesamtschäden in Bamberg wurden vor allem im südlichen Untersuchungsgebiet zahlreiche Wohnungen zerstört. Insgesamt wurden 25 Wohnhäuser als leicht beschädigt, sieben als stark beschädigt und eines als total zerstört, erfasst. Bereits in den 50er-Jahren wurden alle beschädigten Häuser wieder in ihren ursprünglichen Zustand hergestellt. An die Stelle des zerstörten Hauses wurde ein neues Einfamilienhaus gebaut. Die Kriegsschäden als solche führten demnach zu keiner baustrukturellen Veränderung des Haingebietes.

Nach dem Verlust der ehemaligen Trägerschicht der Bebauung und der weitgehend rücksichtslosen Ersetzung ehemaliger Hausbesitzer durch "NSDAP-Genehme" während des dritten Reiches, zogen nach der Kapitulation und Übernahme Bambergs Angehörige der US-Armee in viele Häuser des Haingebiets ein. Die Amerikaner beschlagnahmten Häuser die ihnen zusagten, zwangen die Hausbesitzer und Angestellten auszuziehen, wobei das Mobiliar in den Häusern zu verbleiben hatte, und wandelten auf diese Weise innerhalb von zwei Jahren 847 Wohnungen in der Stadtmitte, in Bamberg-Ost sowie im Haingebiet in sogenannte Besatzungsunterkünfte um. 1952 wurden bambergweit noch 442 Wohnungen auf diese Weise genutzt und 1955 waren noch 28 Anwesen im Untersuchungsgebiet als von US-Amerikanern bewohnt im Einwohnerbuch Bambergs eingetragen. Im Haingebiet betraf diese Nutzung vor allem spätklassizistische Villen der nördlichen Hainstraße und einen Teil der, zwischen den Kriegen entstandenen, Villen- und Einfamilienhäuser. Die Schützenstraße blieb dafür weitgehend ungenutzt. Neben Offiziersunterkünften fanden sich im Haingebiet vor allem Dienststellen des amerikanischen Gerichtsoffiziers und das Büro des US-Gouverneurs. Das Schützenhaus am Schönleinsplatz diente den Offizieren als Kasino.

Bis 1955 wurden im nördlichen Haingebiet keine nennenswerten Bebauungen mehr durchgeführt, da sich bereits vor dem 1. Weltkrieg dort kaum noch unbebaute Flächen befanden. Als einzig spektakulären Neubau nach 1955 kann das Parkhaus Schützenstraße genannt werden, welches in der nördlichen Schützenstraße in einem Neubau  als Tiefgarage integriert wurde. Der Gebäudekomplex beinhaltet neben der Tiefgarage eine Lokalität, Geschäfte, Büroräume und Wohnungen. Er befindet sich in der rückwärtigen Nachbarschaft zum Ärztehaus, das an der Stelle der früheren Ressource errichtet wurde.

Das südliche und süd-östliche Haingebiet wurde nach dem Krieg erheblich ausgebaut. Dort finden sich heute eine Vielzahl von Wohnungen, die der typischen Bebauung nach dem Krieg, mit kleinen Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie kleineren, Mietskasernen ähnlichen Häuserblocks, entsprechen. Die Bebauung füllt heute eine Fläche fast lückenlos aus, die, ausgehend von der Altstadt, die Hainstraße und den Heinrichsdamm als Grenzen hat. Vor allem das Gebiet um die Wetzel- Clavius- und Dientzenhoferstraße wurde in dieser Nachkriegszeit erschlossen.

Mit der Vernichtung der Juden in Bamberg ist zugleich der Hopfenhandel in Bamberg wie im Haingebiet verschwunden. Die ehemaligen Hopfendarren werden nun als Wohnhäuser oder als Büroräume genutzt.

Rückwärtige Ansicht der ehemaligen Hopfendarre von Gustav Buxbaum, in der Hainstraße 20. Das Gebäude wird heute als Wohnhaus genutzt. An der Gibelseite (links) sind die für Hopfendarren typischen, senkrechte verlaufenden Lisenen der Fasadenaufteilung zu erkennen.

Abb.8

Abb8.jpg (18851 Byte)

Bereits 1955 waren im nördlichen Untersuchungsgebiet Wirtschafts- und Wohnfunktion miteinander vermischt. Waren damals auch vereinzelt kleine Handwerksbetriebe angesiedelt, so ist die heutige wirtschaftliche Nutzung des noblen Wohngebiets vorwiegend im tertiären Sektor zu finden. In der Schützen- und Hainstraße sind heute, neben Wohnhäusern, vorwiegend Dienstleistungsbüros wie Anwaltskanzleien, Versicherungen und Arztpraxen angesiedelt. Was aus der Gründerzeit, der Zeit der Hopfenhändler und Hopfenvillen geblieben ist, ist der Charme eines Wohngebiets romantisierender und vaterlandsliebender Deutscher.


[16] Eidloth (1988) S. 73 ff.

[17] Loebl (1999) S. 296

[18] Eidloth (1988) S. 74 ff

[19] Eidloth (1988) S. 76

[20] Bamberg besitzt heute keine Straßenbahn mehr.

[21] Eidloth (1988) S. 114

[22] Eidloth (1988) S. 138