In Dangels Garten

Das vergessene Gesicht der Hainstraße - Spurensuche

von Lars Plickert
abgedruckt im Fränkischen Tag Bamberg am 15.1.2000

Dezember 1999 - Atem beschlägt in der kalten Winterluft. Es riecht nach Schnee. Durch das kahle Geäst am Uferrand bricht die tief stehende Sonne - blindes Licht, vom Wasser der Regnitz tausendfach reflektiert. Wer heute im Hain spazieren geht, der ist dick angezogen oder macht zügige Schritte, um nur schnell der Kälte zu entgehen.

Damals 1860, als Emanuel Dessauer und Nathan Rosenwald den Entschluss fassten, hier am Hain zu bauen, hat vermutlich auch die Sonne geschienen. Viel hat es hier nicht gegeben - ein paar Bäume auf sumpfigem Boden, eine Pappelallee, 1804 angelegt von einem Freiherrn von Stengel. Das war alles. Dangels Garten hieß das Gebiet östlich des Theresienhains nach seinem langjährigen Besitzer, dem Stadtrichter Dangel. Der Plan der beiden wohlhabenden jüdischen Hopfenhändler, sich gerade hier niederzulassen, fand seine Spötter. Aber 1862 wurde den Baugesuchen Dessauers und Rosenwalds stattgegeben. Es sollte der Anfang eines rasanten Aufstiegs werden. Viele taten es den beiden nach. Und so entstanden hier in der Gründerzeit neben dem Haus von Emanuel Dessauer in der heutigen Hainstraße 13, das in seiner Backsteinbauweise und mit seinen Erkerchen und Türmchen ein wenig an das Westminster Abbey oder das Münchner Rathaus erinnert, zahlreiche Villen im spätklassizistischen Stil.

Viele, derer die es nun in das Villenviertel am Hain zog, hatten es wie die Dessauers und Rosenwalds mit dem Hopfenhandel zu Reichtum gebracht. Und so errichtete man im Garten an der Rückseite der zweigeschossigen 

Prachtvillen mit den charakteristisch gewölbten Mansardendächern kurzerhand Lagerhäuser zur Aufbewahrung des Hopfens.


Hainstraße Nr. 13

Auf der großen Rasenfläche einige Spielgeräte. Gegenüber schimmert die barockisierte Fassade des Staatsarchivs matt in der einsetzenden Dämmerung des Winternachmittags. Die Zeit hat den hellen Sandstein dunkler gemacht.

Früher, in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts fuhr hier eine Straßenbahn. Und wenn ihre Töchter morgens vor der Schule spät dran waren rief

 



Frau Rosenfeld auch schon mal aus dem Fenster dem Straßenbahnschaffner zu, er möge doch warten. Heute sucht man die Rosenfelds vergeblich im Telefonbuch. Wie viele ihrer Nachbarn waren sie Juden und die wurden während der Nazi-Zeit vertrieben, verfolgt und verschleppt. 1942 gab es in der Hainstraße keine Juden mehr. Wer nicht rechtzeitig fliehen konnte, den brachten die, Nazis nach Theresienstadt, Dachau oder weiter in den Osten: Riga. Die entkamen waren in der Regel die Jungen. Deren Eltern und Großeltern weigerten sich meist die Heimat zu verlassen. Nach 1945 kehrte keiner von ihnen zurück, auch die nicht, die den Holocaust überlebt hatten. Zu den Überlebenden zählen auch die beiden Töchter Rosenfelds, Maria und Antonia. Sie leben heute in England.

Der Mann, den ich auf der Straße anspreche, ist nett. Er freut sich, dass es jemanden gibt, der sich für die Straße interessiert, in der er seit über sechzig Jahren wohnt. Stolz zeigt der heute 73-Jährige mir das Haus, das seine Großeltern errichtet haben. „Früher" erzählt er, »war hier alles viel einheitlicher. Erst nach dem Krieg wurde das Bild der Straße an einigen Stellen durch Neubauten verändert." Und er 

ärgert sich über das Altenpflegeheim, dem in den 70er fahren zwei Häuser aus der Jahrhundertwende zum Opfer fielen. Als ich ihn auf das Schicksal der Juden anspreche, meine ich für den Augenblick einer halben Sekunde ein misstrauisches Blitzen in seinen Augen zu entdecken. „Das kann schon so gewesen sein, aber als 10-jähriger Bub...". Und dann hätten die vor allem in der nördlichen Hainstraße gewohnt - „so ab der Otto-Straße". In seiner näheren Nachbarschaft habe es überhaupt keine Juden gegeben. Während er das sagt, bleibt sein Blick in der nördlichen Flucht der Hainstraße haften.

Oktober 1934: Nördliche Hainstraße - Ecke Schönleinsplatz, Hausnummer 1-3. Da wo kurz zuvor die Bayerische Politische Polizei das Gebäude des israelitischen Gesellschaftsverein „Ressource" ge­räumt und beschlagnahmt hatte, drängen Menschen zusammen. Männer und Frauen, Familien mit Kinder auch. Kaum Ältere allerdings. Stimmen schlagen durcheinander. Irgendwo weint ein Kind. Abends ist es jetzt schon kühl. Viele tragen bereits die grauen Wollmäntel für den Winter,

 



einige der Männer das Partei­abzeichen. Vorne eine Kapelle. Blechbläser. Schmissige Musikstücke verbreitend. Volksfestatmosphäre. Plötzlich Unruhe. Bewegung. Jubel. Hände fliegen in die Luft, Arme recken sich schräg nach oben. Ein rotes Fahnentuch wird von hinten durch die Reihen nach vorn gereicht, bis dahin, wo die SA in Zivil zu Sechserreihen Aufstellung genommen hat. Lautlose Stille, als der Kreisleiter dem Bürgermeister Dr. Stoll die Schlüssel des neuen Parteiheims der NSDAP übergibt. „Und wehe dem, der es wagt, diese Stelle anzugreifen, solange hier die Banner der NSDAP wehen.", donnert Stoll der Menge entgegen. Zu beiden Seiten des Eingangs steigt die rote Fahne mit dem schwarzen Kreuz in weißem Feld hoch in den dunklen Abendhimmel. Das dreifache Siegheil dröhnt bis tief in die Hainstraße hinein. „Sieg-heil, Sieg-heil, Sieg-heil".


 Vereinshaus Ressource, aus H. Loebl, 
"Juden in Bamberg", S.100

Als ich das nördliche Ende der Hainstraße erreiche, flutet aus den Häusern bereits weiches Licht nach außen. Hinter den Fenstern:

Weihnachtssterne aus buntem Papier und kleine Schneemänner aus Pappmache. Da, wo früher die jüdischen Familien Mohrenwitz, Löbl, Eckstein, Dessauer, Brandes gelebt haben, findet man heute Behörden, Arztpraxen, Anwaltskanzleien. Das ehemalige Ressource-Gebäude, Hainstraße 1-3, haben die Nazis kurz vor dem Einzug der Amerikaner in Brand gesteckt. Das fleißige Nachkriegsdeutschland hat die Trümmer restlos weggeräumt. Ein hässlicher, aber unauffälliger Zweckbau trat an ihre Stelle.

1942: Vor der Villa Dessauer in der Hainstraße 4a hält ein Lastwagen. Männer in langen Mänteln und Männer in Zivil springen heraus. Wenig später führen sie eine kleine Gruppe von Juden aus dem Haus heraus. Sie leisten keinen Widerstand. Es sind die Übriggebliebenen, zusammengetrieben zum letzten Abtransport. Unter ihnen auch: Julius und Emile Dessauer, deren Großvater Emmanuel 1862 in der heutigen Hainstraße 13 das erste Haus erbaut hatte - in Dangels Garten.

Hier, am Schönleinsplatz, am Anfang der Hainstraße, ist viel Verkehr. Aus den Schaufenstern der Langen Straße dringt milchiges Licht herüber. Graue Gestalten drücken sich an mir vorbei. Ihre Gesichter sind Schatten. Über uns ist der Himmel schwarz.

 

 

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
06. Dezember 2000


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