Quelle: Fränkischer Tag Bamberg, vom 14.5.2001

Synagoge als Forum gegen Fanatismus

Literaturkreis der Realschule II erfüllt entweihtes jüdisches Gotteshaus mit kulturellem Leben

KRONACH. Noch ist die Synagoge in der Nikolaus-Zitter- Straße ein entweihtes Gotteshaus. Es ist jedoch das Verdienst der Realschule II und ihres Literaturkreises, die mit einer der letzten Veranstaltung vor der Wiederherstellung aufgezeigt haben, was daraus werden kann: Ein interreligiöses Kulturzentrum als Forum gegen den "Morast des Rassenhasses."

von Cornelia Masel-Huth

Die Formulierung, dass der Antisemitismus kein Ideal sucht, sondern eine jener Sumpfpflanzen ist, die im Morast des Rassenhasses wachsen, stammt von dem englischen Politiker Llyod George und ist Teil jener Inschrift, die sich seit 1964 auf dem Gedenkstein für die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger auf dem Kronacher Friedhof befindet.

Diese Inschrift zitierte die Leiterin des Wahlfachs "Literatur" an der Realschule II, Ingrid Steinhäußer, die das Programm des Gedenkabends an deutsche Dichterinnen und Dichter jüdischer Herkunft mit den Jugendlichen ausgearbeitet hatte.

"Wenn man die deutsche Literaturgeschichte durchblättert," hielt Moderator Wolfgang Neubauer fest, "dann ist man erstaunt, wie viele Dichterinnen und Dichter es gibt, die jüdischer Herkunft oder jüdischen Glaubens sind." Die Schüler nannten konkrete Namen: Hannah Arenth, Peter Altenberg, Bertold Auerbach, Ludwig Börne, Else Behrend- Rosenfeld, Max Brod, Jakob Julius David, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Egon Friedell, Heinrich Heine, Georg Hermann, Franz Kafka, Karl Kraus, Else Lasker-Schüler, Alfred Polgar, Joseph Roth, Rafael Seligmann, Schalom Ben Chorin, Margarete Susmann, Kurt Tucholsky, Jakob Wassermann, Franz Werfel, Arnold Zweig, Stefan Zweig.

Der erste Teil der Lesung beschäftigte sich mit Leben und Werk der satirischen, zeitkritischen Autoren Heinrich Heine, Kurt Tucholsky und Stefan Zweig, in denen sich ihre politische Kritik spiegelt und auch ihre selbstverständliche, schmerzlich in Abrede gestellte Identifikation mit Deutschland.

Nina Engel sang das Lied von der Loreley "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin", von dem heute kaum mehr einer weiß, dass es von Heinrich Heine gedichtet wurde. Eva Ebert und Katrin Barnickel führten in das Werk des romantischen Dichters ein.

Ganz selbstverständlich hatte sich der neue Realschulrektor Dieter Brückner bereit erklärt, aktiv an der Veranstaltung mitzuwirken. Am Klavier begleitet von Axel Stumpf sang er mit kräftigem Tenor drei der schönsten Lieder der Romantik, gedichtet von Heinrich Heine, vertont von Franz Schubert und Robert Schumann.

Comedian
Harmonists

Von Kurt Tucholsky trug Andreas Birke dessen Ansichten über die Freiheiten der Satire vor und Florian Tenner das mutige Pamphlet über den Reichspropagandaminister der Nazis, Josef Goebbels, "Joebbels oder das Dritte Reich". Weitere Werkbeispiele gaben Alexander Dressel, Katharina Stadter und Tamara Schmidt. An das Schicksal der unvergessenen "Comedian Harmonists", die auf der Höhe ihrer Popularität verboten wurden, weil zwei ihrer Mitglieder Juden waren, erinnerte der Schulchor mit dem munteren Liedchen vom "kleinen grünen Kaktus".

Ebenfalls unsterblich hat sich einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit, Stefan Zweig, mit seinen "Sternstunden der Menschheit" gemacht - Matthias Gerstner stellte ihn vor. Als eine dieser Sternstunden beschreibt Zweig (vorgelesen von Sandra Weisser und Alexandra Herget) die Entstehung der "Auferstehung" von Georg Friedrich Händel. Da in der Synagoge kein großer Chor zur Verfügung stand, kam ein jüdischer Komponist zu Ehren: Felix Mendelssohn-Bartholdy. Schulleiter Brückner sang aus dem Oratorium "Elias" die ergreifende Arie "Hebe deine Augen zu den Bergen, von welchen dir Hilfe kommt."

Die Ballade, die wohl jedes Kind in der Schule auswendig lernen musste, "Belsazar" von Heinrich Heine (Vortrag: Janine Barth) und ein hebräischer Psalm, mit lupenklarer Stimme gesungen von Claudia Höfner von der Freien Christengemeinde Kronach, eröffneten den zweiten Programmteil.

Hier ging es vorwiegend um die Lebenserfahrungen jüdischer Dichter in Deutschland und im Exil. Simone Barnickel, Tatjana Kremer und Eva Ebert beschäftigten sich mit Else Lasker-Schüler, die Gottfried Benn "die größte Lyrikerin, die Deutschland je gehabt hat" nannte. 1945 starb sie in Jerusalem und wurde auf dem Ölberg begraben. Ihrem letzten Gedichtband hat sie die Widmung vorangestellt: "Meinen unvergesslichen Freundinnen und Freunden in Deutschland - und denen, die wie ich vertrieben und zerstreut sind in der Welt."

Annäherung von
Juden und Christen

Tatjana Heckmann, Janine Barth und Katrin Barnickel führten mit Leseproben in das Werk von Schalom Ben-Chorin ein. Zeit seines Lebens hat sich dieser Autor um eine Annäherung von Juden und Christen bemüht und sein Lied "Freude, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt" wurde in das evangelische Gesangbuch aufgenommen. Wolfgang Neubauer und Michael Grimme stellten zum Abschluss die Schriftstellerin, Philosophin und Journalistin Hannah Arendt vor.

Sie hat in ihrem Buch "Eichmann in Jerusalem", in dem sie den Prozess um SSD-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, Hauptverantwortlicher für die Ausführung des Holocaust, darstellt. Von Hannah Arendt stammt die These von der "Banalität des Bösen, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert."

Der literarisch-musikalische Abend in der Synagoge war eine beispielhafte Veranstaltung gegen religiösen Fanatismus und Rassismus und ein Beispiel für politisch aufklärende pädagogische Arbeit, die gleichzeitig die Jugendlichen aus der Rolle der rezeptiven Aufnahme herausholt und zum Selbstdenken ermuntert und ermutigt.

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
20. Mai 2002


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