Quelle: Nordbayerischer Kurier Bayreuth, vom 6.4.2001

Der lange Leidensweg in die Hölle von Riga

Deportation von Juden: Interview mit Hanneliese Wandesmann, geborene Reinauer

BAYREUTH

Von Eva Bartylla

Zweimal weint Hanneliese Wandesmann während des Interviews. Immer dann, wenn sie von der tiefen Ohnmacht ihres Vaters erzählt, der seinem Kind eine Zigarette anbietet, weil er ihm keine Schokolade geben kann, der gedemütigt, geschunden und zum Skelett abgemagert vor seinem Transport in ein Konzentrationslager von ihr Abschied nimmt, bricht sie in Tränen aus. Jetzt, fast 50 Jahre danach. Sie hat den Vater nie wieder gesehen.

Das letzte Bild hat sich in Hirn und Herz dieses Kindes für alle Zeiten eingegraben: Weil der ehemals stattliche Bayreuther Geschäftsmann zu schwach war, um zu laufen, setzten ihn die NS-Schergen auf einen Berg von Leichen, die auf eine Karre gestapelt waren, und fuhren mit ihm weg. Was die 70-jährige Tochter mit erstickter Stimme, stockend schildert, nimmt in den Köpfen der Zuhörer eine schaurige Gestalt an. Das Interview, das sie 1998 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem gab, war jetzt in einer Aufzeichnung erstmals in Bayreuth zu sehen und zu hören. Ekkehard Hübschmann und Siegfried Pokorny von der Geschichtswerkstatt Bayreuth stellten es in den Mittelpunkt ihres Vortrags „Von Bayreuth in die Hölle von Riga", der in der Reihe „Erinnern gegen das

Vergessen" stattfand. Der Historische Saal des Kunstmuseums im Alten Rathaus war voll besetzt, als die beiden im Wechsel und mit vielen Dokumenten, Lichtbildern und Landkarten den langen Leidensweg dieser Bayreuther dokumentierten. Für die meisten war es eine Reise ohne Wiederkehr. Nur vier überlebten. Zu ihnen gehörten Friedel Reinauer, eine alteingesessene Bayreutherin, die mit ihrem Mann ein Bekleidungsgeschäft führte, und ihre Tochter Hanneliese. Vater und Sohn kamen ums Leben.

Erfroren und verhungert

Hanneliese war die Jüngste unter den 46 Bayreuther Bürgern jüdischer Abstammung, ein Kind noch, 13 Jahre alt. Im November 1941 war sie aus ihrer Heimatstadt in die lettische Hauptstadt Riga evakuiert worden. Die Bayreuther gehörten zu den rund 25 000 deutschen Juden, die dort unter erbärmlichen Lebensumständen und Verhältnissen in den Lagern erfroren, verhungerten, durch unmenschliche Arbeitsanstrengungen ausgemergelt und krank regelrecht krepierten oder kaltblütig und auf grausame Weise exekutiert wurden. Nur rund 1000 haben die Qualen, für immer gezeichnet, überlebt.

Lange vor der Wannsee-Konferenz, bei der am 20. Januar 1942 14 Spitzenbeamte der Ministerialbürokratie unter Vorsitz des SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich, dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes, über die organisatorische Durchführung der Deportation und Ermordung aller europäischen Juden in Vernichtungslagern befanden, hatte der Feldzug bereits begonnen.

Hübschmann und Pokorny erzählten von ausgeklügelten Lügen, die den Menschen aufgetischt wurden, als zur Vorbereitung der Deportation von einer Umsiedlung die Rede war. Sie schilderten die Reise in ungeheizten Zügen über 1000 Kilometer in einem bitterkalten Winter mit Temperaturen bis zu minus 42 Grad, eisigen Schlafbaracken und Massenerschießungen von Männer, Frauen und Kindern, die sich nackt mit dem Gesicht nach unten ins Massengrab legen mussten, bevor sie der Genickschuss traf.

Hanneliese Wandesmann, die bald nach Palästina ausgewandert war, erzählte ohne Hass auch von den guten Taten manches deutschen Soldaten, der dem Mädchen in all dem Elend Butterbrote oder ein gutes Wort zukommen ließ.

 

Info: Das Evangelische Bildungswerk Bayreuth-Bad Berneck veranstaltet vom 9. bis 15. Juni eine Studien- und Gedenkreise nach Riga unter der Leitung von Dr. Björn Mensing. Anmeldungen unter Telefon 09 21/5 60 68 10

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
15. April 2001


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