Quelle: Fränkischer Tag Bamberg, vom 23.1.2001

«National befreite Zone» Unwort des Jahres

Frankfurt/Main (dpa) - Das «Unwort des Jahres 2000» ist der von Rechtsextremisten verwendete Begriff «national befreite Zone». Eine Jury aus Sprachwissenschaftlern und -praktikern hat den Begriff aus rund 2 000 Einsendungen mit 445 verschiedenen Vorschlägen ausgewählt.

Das «Unwort» umschreibt nach Darstellung von Jury-Sprecher Horst Dieter Schlosser auf zynische Weise Gebiete und Orte in Ostdeutschland, aus denen «durch terroristische Übergriffe Ausländer und Angehörige anderer Minderheiten vertrieben wurden» und Einwohner durch Einschüchterung daran gehindert werden, sich offen gegen diesen Terror zu wehren.

Nach Ansicht des sächsischen Verfassungsschutzes ist der Begriff zu Recht zum «Unwort» ernannt worden. «Unter diesem Etikett kann es Sinn machen, sich mit dem Begriff und seinem negativen Inhalt auseinander zu setzen», sagte der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, Reinhard Boos, der dpa. Der Deutsche Gewerkschaftsbund in Sachsen-Anhalt kritisierte hingegen die Auswahl des «Unworts».

«National befreite Zone» werde zwar nicht erst seit 2000 benutzt, habe aber vor dem Hintergrund «eines allgemeineren Bewusstwerdens extremistischer Gefahren von Rechts im letzten Jahr bundesweite Aufmerksamkeit gefunden», erläuterte Schlosser bei der Bekanntgabe der Entscheidung am Dienstag in Frankfurt. Zudem werde der Begriff mittlerweile auch ironisch verwendet, wodurch sich die Bedeutung abschleife. Dabei sei er auf doppelte Weise zynisch: Zum einen heroisiere er ein extremistisches und gewalttätiges Sektierertum als «national», zum anderen gebe er die Verfolgung von Menschen als «Befreiung» aus. «Damit liegt er auf einer Linie mit dem Unwort von 1991, 'ausländerfrei'».

Verfassungsschützer Boos betonte, dass es «national befreite Zonen» in der von Neonazis gemeinten Bedeutung in der bundesdeutschen Realität nicht gebe. Nach Angaben von Boos wurde der Begriff vor Jahren vom Nationaldemokratischen Hochschulbund, einer Tochterorganisation der rechtsextremistischen NPD, formuliert. Er beinhalte den Anspruch, dass in einer bestimmten Zone Rechtsextremisten die Hoheit ausüben und nicht der Staat. «Ich kenne jedoch keinen Bereich, in dem die staatliche Strafverfolgung nicht greift», sagte Boos. Das «Unwort» diene teilweise auch als Schlagwort für eine rechtsextremistische Dominanz in örtlichen Jugendkulturen.

Der DGB in Sachsen-Anhalt reagierte mit Unverständnis auf die Auswahl. «Das ist kein von relevanten politischen Repräsentanten geprägter Begriff. Er ist auch nicht in der Öffentlichkeit verankert, sondern wird nur von wenigen Neonazis verwendet», kritisierte DGB- Landessprecher Bernhard Becker.

70 Prozent der Einsender hätten der Jury die «deutsche Leitkultur» als «Unwort 2000» vorgeschlagen. Obwohl die Juroren die Bedenken gegen diesen Begriff vielfach teilen konnten, habe man sich anders entschieden, erklärte Boos: Über Leitkultur «ist schon so viel diskutiert worden, dass dem mit einer Unwort-Rüge nichts mehr hinzuzufügen wäre.»

Als weiteres Unwort wertete die Jury den Begriff «überkapazitäre Mitarbeiter». Dies sei von einem Schweizer Unternehmen benutzt worden, um Arbeiter nur noch nach ihrem (Un-)Wert als nicht Gewinn bringend einzustufen. Auf Kritik stieß auch das Wort «Separatorenfleisch», das verschleiere, dass es sich um risikoreiche Fleischabfälle handele. Die politische Parole «Dreck weg!» der CDU Darmstadt zählt für die Jury zu den besonders kritikwürdigen Unwörtern. Unter diesem Ausruf seien im Internet verschiedene Gruppen «unliebsamer» Menschen aufgeführt worden. Nicht eingesandt, aber ebenfalls bedenklich sei der Begriff «therapeutisches Klonen», mit dem Bedenken gegen das Klonen ausgeräumt werden sollten, weil es der Therapie diene.

Zur Jury, die seit 1991 jährlich ein Unwort wählt, gehören außer Schlosser drei ständige sprachwissenschaftliche Mitglieder: Professor Albrecht Greule (Regensburg), Professor Margot Heinemann (Görlitz- Zittau) und Professor Rudolf Hoberg (Darmstadt). Außerdem sind zwei Sprachpraktiker im Auswahlgremium. Diesmal waren es die Chefredakteurin des Senders Freies Berlin (SFB), Petra Lidschreiber, und der Schweizer Schriftsteller Ernst Nef (Augwil-Lufingen).

Mit dem «Unwort des Jahres» will die auf Privatinitiative entstandene Jury die Gesellschaft anregen, über ihre Wortwahl nachzudenken. «Jeder kann anderer Meinung sein», sagte Schlosser, «unser Erfolg besteht darin, dass diskutiert wird.»

(URL: http://www.unwortdesjahres.org)

 

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
26. Januar 2001


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