Quelle: Nordbayerischer Kurier Bayreuth, vom 18.1.2001

Geschichte ungeschminkt

Zeitzeugen berichten jungen Leuten von der NS-Zeit

BAYREUTH

Das war Geschichtsunterricht aus erster Hand: Vier Zeitzeugen berichteten gestern 45 jungen Leuten in der Industrie- und Handelskammer vom dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte. Nicht ausschließlich das, was man in den Geschichtsbüchern über die NS-Zeit lesen kann. Viel mehr das, was sie am eigenen Leib erlebten. Ihre maximale Ehrlichkeit verfehlte die Wirkung nicht.

Kids des neuen Jahrtausends - Baseballkappen schräg auf den Köpfen, weite Hosen, teure Turnschuhe, auffällige Piercings. Ihnen gegenüber vier „Alte", über 60 und gesetzt, mit einer Botschaft. So krass die Gegensätze auch waren, es ging gut. Sehr gut sogar.

Helmut Münch, Jahrgang 1930, ist einer dieser Zeitzeugen - aufrecht und ehrlich genug, um zuzugeben: „Ja, mich hat die Sache eine Zeit lang begeistert. Ich habe mich vom Paulus zum Saulus zum Paulus gewandelt." Münch erzählte von der Zeit als HJ-Führer, von den Aufmärschen an den Sonntagen, von dem vormilitärischen Drill in Lagern und von den Kameradschaftsabenden. „Wir haben das als Abenteuer empfunden." Solange bis immer deutlicher wurde, dass „die Nazis unsere Begeisterung missbrauchten und sich der Staat in das Privatleben jedes Einzelnen einzumischen begann". Dem Vater legte man nahe, in die Partei einzutreten. wenn er nicht das Ende der Karriereleiter schon erreicht haben wolle.

Den Mann der Cousine verfolgten die Nazis, weil er Jude war. Justin Steinhaeuser hieß er, war Träger des Eisernes Kreuzes, das ihm für seine Tapferkeit im Ersten Weltkrieg verliehen worden war und ihn trotzdem nicht vor den Nazi-Nachstellungen zu bewahren vermochte. Einen Verwandten steckten die Nationalsozialisten ins Konzentrationslager, nur weil er BBC London gehört hatte.

Das alles hätte schon gereicht, um beim jungen Helmut Münch Umdenken auszulösen. Zum Ende des Krieges kamen die bitteren persönlichen Erfahrungen. Er und seine Schulkameraden wurden eingesetzt, um Verwundete aus den Lazarettzügen auszuladen - Soldaten darunter, deren Panzer getroffen wurden und Feuer gefangen hatte. Und als 1945 Bomben Bayreuth zu großen Teilen in Schutt und Asche legten, war Helmut Münch erst Melder, dann Feuerwehrmann - vor allem: Er war längst nicht mehr indoktriniert. Er war, um seine eigenen Worte zu zitieren, vom Saulus zum Paulus zurückgekehrt.

„Wir sind eine Bildungseinrichtung." Für Bernhard Pfeiffer, Soziologe bei der Berufsbildungsgesellschaft der IHK, heißt das, „nicht immer nur materiell verwertbares Wissen zu vermitteln. Junge Leute sollen die Welt verstehen können, die Vergangenheit und die Gegenwart - auch das ist unsere Aufgabe. "Dass die Arbeitsgemeinschaft SPD 60 plus die Aktion Zeitzeugen gestartet und Pfeiffer davon im KURIER gelesen hatte, hat sich gut getroffen, „das passt bestens ins Unterrichtskonzept". Der Soziologe hatte vier der inzwischen zehn Zeitzeugen kennen gelernt - Christine Hacker, Helmut Münch, Siegfried Pokorny und Robert Werner - und war beeindruckt. Nach der Unterrichtsstunde gestern wird er mit den 45 jungen Leuten in der kommenden Woche zur KZ-Gedenkstätte nach Buchenwald fahren - „weil das kein Museum ist", aber vor allem weil kein Einziger von ihnen bislang jemals in einem ehemaligen Konzentrationslager war.

Ein Teil der Jugendlichen durchläuft derzeit einen Lehrgang zur Verbesserung der beruflichen Bildungs- und Eingliederungschancen, ein anderer erhält Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen. Beide Angebote richten sich an benachteiligte Jugendliche, zu den vor allem Jugendliche ohne Schulabschluss und junge Übersiedler mit Sprachschwierigkeiten gehören, fs

 

 

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
26. Januar 2001


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