Quelle: Nordbayerischer Kurier Bayreuth, vom 10./11. November 2001

Bildersturm an idyllischem Ort

Erinnerung an die Reichskristallnacht in der Fränkischen Schweiz - Juden wie Vieh abtransportiert

 

FRANKISCHE SCHWEIZ

Von Bärbl Völkl

Die Gegend hier ist wunderschön. Sanfte Höhen säumen das Tal. Sonne, Laubfärbung, wo kann's noch idyllischer sein? Vielleicht sagt man deshalb auch, dass hier der „Schlupfwinkel des Gemüts" sei. Und doch kommen wieder kalte triste Tage.

So ein nasskalter Novembertag ist es. Nebelverhangen liegt das Dorf Pretzfeld, die Kirchglocke schlägt, zufrieden klingt das Muhen der Kühe. Ein kleiner Lastwagen rattert die Dorf­straße herunter. Auf der Ladefläche des dreirädrigen Lieferwagens kauern fünf Menschen. Alte Leute, notdürftig bekleidet, sitzen frierend und völlig verängstigt am Boden. Umso besser fühlt sich der stämmige SA-Mann, der aus dem Wagen steigt. „Grölend und drohend", berichtet ein Dorfbewohner, tut er sich hervor, ehe er im Dorfwirtshaus verschwindet.

Isidor und Lina Seiferheld, Lehmann und Jette Mai aus dem nahen Hagenbach sowie der Händler Werner Wollener aus Wannbach sind die letzten Juden, die man wie Vieh abtrans­portiert. Der SA-Mann aus dem Dorf Schleifhausen tankt einige Biere, bevor er johlend aus dem Gasthaus kommt und die Menschen nach Forch­heim weitertransportiert. Das war am Vormittag des 10. November 1938. Der Tag sollte noch nicht zu Ende sein. Denn gleich neben dem Wirtshaus erhebt sich ein Schloss, das der jüdische Großhändler Joseph Kohn 1852 erworben hatte. Seine Enkelin Sophie, mit dem Kunstmaler Curt Herrmann verheiratet, nutzte es als Sommersitz. Ein Ort, an dem Kunst und Kultur gepflegt wurden. So war hier auch ein Henry van de Velde oft zu Gast. Die Herrmanns erlebten diesen schwarzen Tag nicht mehr. Ihr Sohn Fritz war 1937 nach England emigriert.

Bildersturm auf Schloss Pretzfeld. Gemälde des Malers Curt Herrmann wurden hier in der Reichskristallnacht aus ihren Rahmen geschlagen und bespuckt.

Foto: Völkl

Ein Teil der Gemälde, die Herrmann geschaffen hatte, befand sich allerdings noch im Schloss. Hitlerjugend „von auswärts" und SA-Männer aus Pretzfeld und den umliegenden Ort­schaften machten sich daran, Einrichtung und Möbel zu zertrümmern. Mit Vorschlaghämmern wurden Öfen zerschlagen. Im Schlosshof hielt ein SA-Mann eine Aktstudie von Curt Herrmann in die Höhe und rief der tobenden Menge zu: „Seht, das machen die Juden!" Einige bespuckten die aus dem Rahmen geschlagenen Bilder. Reichskristallnacht und Bildersturm an idyllischem Ort.

Ein Ort des Friedens ist der Hagenbacher Judenfriedhof. Fast 200 Jahre lang wurden hier die Toten der jüdischen Gemeinde bestattet.

Doch zurück zu den fünf Unglücklichen. Ihre Spur nach Dachau ist zu verfolgen, doch bereits am 25. November sind sie wieder in Nürnberg gemeldet. Trotz aller Nachforschungen, auch von Seiten ihrer in Amerika lebenden Kinder, konnte bis vor einigen Jahren nicht ermittelt werden, in welchem Lager; die Mais, die Seiferheld und Werner Wollener ums Leben kamen. In einer neuen Erkenntnis wird Theresienstadt vermutet.

Die Tochter Seiferhelds hatte am 9. November in Nürnberg die Reichskristallnacht miterlebt. Was sie dann bewogen hat, mit dem Zug am 10. November in die Forchheimer Gegend zu fahren und zu Fuß nach Hagenbach zu laufen? Hatte sie Unterschlupf gesucht oder wollte sie den Eltern beistehen? Kurz vor Hagenbach jedenfalls wurde sie gewarnt, man sagte ihr, dass ihre Eltern geholt worden seien, und so kehrte sie um.

Ihr gelang dann noch die Flucht nach Amerika. Von dort aus meldete sie sich bei Josef Seitz, dem langjähri­gen Rektor und Bürgermeister des Ortes Pretzfeld. In einem Brief beklagte sie, dass sie nicht die Mittel hätte, um den Ort ihrer Kindheit noch einmal zu besuchen.

 

Die Familie Mais lebte in Hagenbach, das etwa einen Kilometer von Pretzfeld entfernt liegt, in Hausnummer 40 (alte Zählung), und betrieben einen Schnittwarenhandel, die Seiferhelds wohnten Hausnummer 36 und handelten mit Schnittwaren und Fellen. Reichtümer waren damit nicht anzuhäufen. Im Zuge der „Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" durften sie ihre Häuser an christliche Mitbürger verkaufen. So würden für die Hagenbacher Schule und Synagoge beispielsweise 900 Mark eingelöst. Das Inventar der Hagenbacher Synagoge wurde am 10. November 1938 auf der Trubachinsel vor dem Dorf verbrannt.

Juden lebten nachweisbar schon im 14. Jahrhundert in Pretzfeld. Im Pretzfelder Ortsteil Hagenbach gab es 1730 genau 28 jüdische Familien, 1811 wurden 205 jüdische Personen gezählt. Die Zahl sank auf 47 Menschen im Jahr 1880, 1910 waren es noch elf, und 1925 wurden sieben ermittelt. Den fünf letzten einer langen jüdischen Hagenbacher Tradition begegnet man am 10. November 1938.

Am Hagenbacher Dorfende gibt es einen Ort des Friedens. Hinter dichten Büschen blühen als Grabschmuck im Frühjahr die Obstbäume, jetzt hängen Früchte über den Grabsteinen.

Auf diesem Judenfriedhof, wo von 1737 bis 1934 die Toten des Ortes bestattet wurden, liegt auch Salomon Mai. „Ein frommer braver Mann" steht hier zu lesen. Vielleicht der Vater von Lehmann Mai, dem hiermit - und den anderen - wenigstens ein kleiner „Stein" gesetzt sein soll.

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
27. Dezember 2001


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