Quelle: Fränkischer Tag Bamberg, vom 10.11.2001

Sie kannten die Opfer mit Namen

Zum Gedenken an Reichspogromnacht führt Gedenkgang „auf den Spuren jüdischen Lebens"

FORCHHEIM. Heute vor 63 Jahren, am 9. November 1938, setzten Menschen in Forchheim die Synagoge in Brand. Die Reichspogromnacht. Der „Bunte Tisch" in Forchheim hatte aus diesem Anlass zu einem Gedenkgang eingeladen. Motto: „Auf den Spuren jüdischen Lebens in Forchheim". Diese Form des Gedenkens fand zum ersten Mal in Forchheim statt.

von Orro Läpp

Etwa 50 Forchheimer fanden sich am gestrigen Abend zum gemeinsamen Gedenken ein. Unter ihnen MdL Eduard Nöth, Landrat Reinhardt Glauber, Oberbürgermeister Franz Stumpf, Dritte Bürgermeisterin Maria Wagner und Stadträte. Der Lehrer und Lokal-Historiker Rolf Kießling rührte die Besucher über zwölf Stationen in der Stadt, die noch vom jüdischen Leben zeugen. Er beschrieb die Vorgänge der Nacht vom 9. auf den 10. November 19.38: Nazi-Horden zogen lärmend durch die Straßen, sie kannten ihre Opfer mit Namen, denn die jüdische Gemeinde in Forchheim war klein. Sie demolierten die jüdischen Geschäfte, beschimpften die Juden und schlugen sie, führten sie auf die Polizeiwache und von dort Ins Stadtgefängnis. Sie warfen die Fenster der Synagoge ein und verwüsteten die Gottesdiensträume. Das Mobiliar warfen sie auf die Straße. Am nächsten Tag wurde vor den Augen einer großen Zuschauermenge die Synagoge in die Luft gesprengt. Die jüdischen Männer mussten die Trümmer mit eigenen Händen beseitigen.

Eine Spur jüdischen Lebens findet sich auf dem Kriegerdenkmal am Rathaus. Dort stehen die Namen von fünf jungen jüdischen Männern aus Forchheim, die im Ersten Weltkrieg für ihr Vaterland Deutschland starben. Patriotismus war auch für Juden eine Selbstverständlichkeit.

Das Ölbild zeigt die Wiesentpartie mit der Synagoge (das Gebäude mit dem grauen Dach), als sie noch stand. Es ist jetzt im Besitz der Stadt Forchheim.                                                      Repro: Barbara Herbst

Um 1910 standen in der Hauptstraße vier jüdische Geschäfte. In dem Haus Hauptstraße 13 mit der prächtigen Barockfassade befand sich das Schuhhaus Haimann Frank. Gleich daneben lag das Kaufhaus „Rosenthal" Hauptstraße 11. Das Kaufhaus war Im Besitz von Klara Rosenthal, die den Kaufmann Max Lefebre aus Ostpreußen geheiratet hatte.

Das an das Gasthaus angrenzende Fachwerkhaus war ebenfalls in jüdischem Besitz.

Sehr früh in jüdischem Besitz war auch das Eckhaus, in dem heute ein Chinarestaurant untergebracht ist. Es wurde bereits Ende des 18. Jahrhunderts von einem Juden bewohnt, der aus Zeil am Main stammte und sich - als die Juden deutsche Familiennamen annehmen mussten - Zeiller nannte.

In der Alleestraße 4, einem unscheinbaren Haus, lebten die letzten beiden jüdischen Bewohnerinnen Forchheims. Es waren zwei Witwen, die beide zum Christentum übergetreten waren: Rosa Tiesler und Sophia Kotz. Viele Forchheimer brachten Sophie Kotz ihre Wäsche ins Haus. Als sie 1944 ins KZ Theresienstadt deportiert wurde, war sie bereits über 80 Jahre alt.

 

Postkarte aus dem KZ

Auch das Haus Apothekenstraße 4 ist ein Zeugnis jüdischen Lebens.Es ist heute Teil der Volksbank. Es war von Juden bewohnt, denn in einem Zimmer findet sich über einem Türstock im Obergeschoss die Jahreszahl 1720, darunter vier hebräische Buchstaben.

In der Hauptstraße hatte Philipp Gröschel um 1900 ein Stoffwarengeschäft eröffnet. Er hatte sich auf die Stoffe spezialisiert, die für die fränkische Tracht verwendet wurden. Sein Sohn Bernhard übernahm das Geschäft.

In der Reichspogromnacht wurden die beiden Ladengeschäfte demoliert, die Wohnung der Familie Gröschel verwüstet. Bernhard Gröschel wurde wie die anderen jüdischen Männer Forchheims verhaftet und ins KZ Dachau eingeliefert. Von dort aus schrieb er eine Postkarte an seine Frau und fragte, ob sie schon die Kfz-Steuer bezahlt habe.

Schon bald wurde Gröschel gezwungen, sein Geschäft aufzugeben und zu verkaufen - ein »arischer" Kaufmann übernahm den Laden. Der stammte zwar nicht aus Forchheim, war aber Parteigenosse. Der Erlös aus dem Verkauf wurde auf ein Sperrkonto gelegt, so dass die Familie nicht darüber verfügen konnte. Das Ehepaar Gröschel hatte seine Wohnung räumen müssen. Buchstäblich in letzter Minute gelang dem Ehepaar Gröschel die Flucht aus Deutschland.

Gedenkveranstaltung an dem Platz, an dem heute vor genau 63 Jahren die Forchheimer Synagoge zerstört wurde.

FT-Foto: Otto Lapp

Nicht zumutbar

Am Paradeplatz 4 war das Kaufhaus Braun. Die aus Kunreuth stammende Familie war in den 70er oder 80er Jahren nach Forchheim umgesiedelt. Während des Zweiten Weltkrieges machten die Nationalsozialisten dieses Haus zur Sammelunterkunft für die wenigen noch in Forchheim lebenden Juden.

Doch bald drängten die Forchheimer Ortsgruppenleiter darauf, die Juden In eine Baracke am Rande der Stadt umzusiedeln. Begründung: Für die deutsche Bevölkerung und vor allem für die Parteigenossen sei es unzumutbar, dass an einem Platz, an dem nationalsozialistische Aufmärsche und Gedenkfeiern stattfanden, Juden lebten.

Die Gedenk-Veranstaltung endete mit dem Verlesen der Namen der Opfer und einem jüdischen Gebet.

 

 

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
20. Mai 2002


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