Quelle:  Fränkischer Tag, 13. August 2005, Seite 9

 

Julian Becker spielt für einen Stolperstein

Der Achtjährige aus der Martinschule dürfte Bambergs jüngster Straßenmusiker sein - Dauergenehmigung

von Gertrud Glössner-Möschk

Wenn Julian Becker im Torbogen des Alten Rathauses ein Konzert gibt, stehen die Zuhörer in Scharen um ihn herum. Der Achtjährige ist ein Virtuose auf der Keltischen Hakenharfe. Mit „Greensleeves" und all den anderen Stücken, die er auswendig spielt, rührt er sein Publikum an und ringt ihm spontanen Applaus ab.

Die Münzen, die in rascher Folge auf die Instrumentenhülle klimpern, behält er aber nicht für sich. Sie sind für einen besonderen Zweck bestimmt: für die Beschaffung eines so genannten Stolpersteins zum Gedenken an jüdische Mitbürger, die im Dritten Reich deportiert und ermordet wurden. Die im Straßenpflaster eingelassenen Messingplatten werden auf Initiative der Willy-Aron-Gesellschaft auch in Bamberg verlegt. Ein erster ist im Dezember 2004 zum Gedenken an Willy Aron in der Luitpoldstraße gesetzt worden. Weitere werden im kommenden Jahr folgen.

Inder Stadt Köln, in der seine Großeltern wohnen, hat Julian schon viele solcher Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig entdeckt und sich für ihre Bedeutung interessiert. Zusammen mit seiner Mutter hat er beschlossen, auch in Bamberg dafür zu sorgen, dass sich die Stolpersteine vermehren. Beide packten also vor einigen Wochen zum ersten Mal Julians neue Harfe ein und zogen sie im Bollerwagen von ihrer Wohnung in der Pfeuferstraße auf die Obere Brücke.

Schon beim ersten Auftritt klingelten nach 50 Minuten 83 Euro in der Kasse. Bei einem zweiten kleinen Konzert am Donnerstag dieser Woche kam der Rest zusammen, so dass Julian und seine Mutter 95 Euro für die Anschaffung eines Stolpersteins zur Verfügung stellen können. Damit ist für den Buben Konzert-Pause, schließlich gibt es in den Ferien noch vieles [sic] andere interessante Dinge zu tun.

Trotz seines zarten Alters hat Julian schon einige Erfahrungen als Straßenmusiker gesammelt. Mit fünf Jahren ist er das erste Mal aufgetreten und hat Weihnachtslieder auf der Blockflöte gespielt, weil er sich eine kleine Spielzeugorgel kaufen wollte und dafür Geld brauchte. Das Publikum war begeistert, aber die Leute vom Ordnungsamt haben das gar nicht gerne gesehen und ihn vom Alten Rathaus vertrieben.

Heute dürfen die Beamten gerne kommen: Julian besitzt seit dem vergangenen Jahr eine gebührenfreie Dauergenehmigung der Stadt Bamberg, von Bürgermeister Werner Hipelius persönlich unterschrieben. Den gewünschten Auftritt muss er lediglich anmelden.

Sehr oft ist er natürlich nicht in der Stadt zu hören, denn sein musikalisches Engagement soll nicht in Kinderarbeit ausarten. Schließlich gibt es noch die Schule, für die er lernen muss (Julian kommt im September in die Klasse 4a der Martinschule), außerdem muss er zu Hause regelmäßig auf Geige und Harfe üben, weil zu den „Ersten Preisen mit Auszeichnung", von denen er beim renommierten Wettbewerb „Jugend musiziert" schon drei gewonnen hat, noch weitere hinzukommen sollen.

Julians großes Talent wird von seiner Mutter, die als Musiklehrerin in der Musikschule des Landkreises arbeitet, nach Kräften gefördert. Auftritte in der Öffentlichkeit – auch in der Konzerthalle hat er schon gespielt, wie er stolz berichtet – sind für ihn nichts Ungewohntes. Hat er Lampenfieber? Julian versteht die Frage nicht: „Lampenfieber, was ist das?" Als es ihm erklärt wird, schüttelt er den Kopf: „Nein, Angst habe ich nicht, aber ich will immer schnell wieder fertig sein."

Sein Lieblingsfach in der Schule ist Heimat- und Sachkunde. Musikunterricht findet er zwar auch ganz schön, aber ein bisschen langweilig. Und im selben Atemzug erklärt er den Unterschied zwischen Violin-, Bass-, C- und anderen Schlüsseln, den sie in der Schule noch nicht durchgenommen haben, obwohl das doch „babyleicht" ist. Kein Wunder, dass Julian auch die Liebe zur Oper entdeckt hat. Zwei Mozart-Werke hat er live auf der Bühne gesehen: „Die Entführung aus dem Serail" und die „Zauberflöte". Seine Lieblingsoper aber ist „Der Freischütz".

Zurück zu den Stolpersteinen. Julian würde den von ihm gestifteten Stein am liebsten einem früheren Bamberger widmen, der Adolf oder Oskar Marx heißt. Der unbekannte Verschollene ist der Großvater einer Amerikanerin namens June Kaplan, die vor kurzem in Bamberg nach ihrem Opa geforscht hat. Sie und Julian haben sich bei seinem Auftritt im Alten Rathaus kennen gelernt und stehen seitdem über E­Mail in Kontakt. Beide möchten jetzt das Schicksal von Herrn Marx aufklären.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt bearbeitet am
16. September 2005


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